Small Talk als Giftpfeil der Kommunikation
„Small Talk in Perfektion“
(ein nicht ganz fiktives pfälzisches Theaterstück in 1 Akt; zum besseren Verständnis teilweise eingedeutscht):
Schorsch: „Und, wie?“
Karl: „Jo alla* und selbscht?“
Schorsch: „Na ja“
Karl: „Alla* hopp!“
Schorsch: „Alla*, bis dann!“
Karl: „Jo, unn tschüs!“
Beide ab.
*bei den beiden Exemplaren pfälzischen Geblüts handelt es sich nicht etwa um Anhänger einer islamischen Glaubensrichtung. Vielmehr steht das „Alla“ im Pfälzischen als Stellverterterwort in zahlreichen Situationen, und es ist aus dem situativen Kontext zu erschließen, was im Einzelnen damit gemeint sein könnte.
Dem Pfälzer an sich bereitet dies gemeiniglich weniger Schwierigkeiten, wohingegen der Nichtpfälzer dabei ab und an ins Straucheln und Nachdenken bis Grübeln geraten könnte.
So wird „alla“ einmal beschwichtigend verwendet („Jo alla“), einmal motivierend und auffordernd („Alla, auf jetzt“) oder auch einleitend („Alla, folgendes…“), Zustimmung kennzeichnend („Alla gut“), erklärend („Alla, es war so…“) oder als schlichter Abschiedsgruß („Alla“) u.v.a.
Szenenwechsel zum wahren Leben
Ich bin frustriert. Ich bin genervt, zwischendurch fast verzweifelt und – hilflos.
Seit über 2 Jahren habe ich in unregelmäßigen Abständen schmerzhafte und langwierige Knieprobleme, oder besser gesagt, schmerzhafte Veränderungen im Bereich des Knies, die es mir manchmal gerade noch ermöglichen, humpelnd zu gehen.
Rad-Fahren, Joggen und andere sportliche Betätigung, die ich so sehr liebe, sind nicht möglich, Schwimmen im See bei meinem Campingplatz nur mit Schmerzen und nicht lange.
Mal ist es der Oberschenkel, mal das Schienbein, mal außen, mal innen, mal rechts mal links. Mehrfach war ich im Kernspin, immer die gleichen Veränderungen: Knochenödem, an verschiedenen Stellen.
Warum das so ist, darauf kann sich niemand so richtig einen Reim machen. Folgerichtig gibt es auch keine etablierte Therapie dafür.
Der Ratschlag beim ersten Mal war: „Ein halbes Jahr keinerlei Sport“. Mein erschrockenes Gesicht betrachtend, meinte der Radiologe noch, ich könne ja Schach spielen. Na toll!
Seit mehr als 6 Wochen habe ich nun wieder Schmerzen, dieses Mal ist es der Unterschenkel im äußeren Bereich des rechten Knies. Und dieses Mal erscheint es mir besonders heftig und langwierig.
Ich hab keine Ahnung, wie lange es noch geht, ob es überhaupt wieder besser wird.
Und ich würde so gern wieder Sport treiben.
All diese Gedanken, Gefühle und Wünsche sind in mir, von all dem könnte ich erzählen, wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, wenn er oder sie hören wollte, was in mir lebendig ist.
Willst Du wirklich wissen, wie´s mir geht?
Was mir in den letzten Wochen allerdings immer wieder begegnete, waren Dialoge der folgenden Art:
H: „Ach, hallo Peter, Dich hab ich ja schon lang nicht mehr gesehen. Wie geht´s Dir? Gesundheitlich alles in Ordnung bei Dir?“
Ich: „Ja, fast alles in Ordnung. Bis auf Kniebeschwerden, die ich schon seit Wochen habe.“
H: „Ja, da bist Du nicht allein auf der Welt“.
„Aha“, denke ich mir. „Das ist jetzt mal eine neue, aufbauende Erkenntnis“.
Ein anderes Mal, ich treffe die Mutter eines Patienten auf dem Weg zur Arbeit:
Frau S: „Guten Morgen Her Doktor Mehlem. Ach, sie laufen aber schlecht.“
Ich: „Ja, ich hab Knieschmerzen“.
Frau S: „Oh ja, das kenn ich. Mein Sohn hat auch schon lange Knieprobleme…“
Frage eines Vaters in der Praxis, der offensichtlich auch etwas erstaunt ist über meinen unrunden Gang:
Vater: „Ach, was haben Sie denn?„
Ich: „Seit Wochen Schmerzen im Knie:“
Vater: „Na, super.“ (Ende des Gesprächs)
Oder Gespräche folgenden Inhalts:
X: „Peter, wie geht´s Dir?“
Ich: „Gut. Bis auf die Schmerzen im Knie, über die ich ziemlich unglücklich bin“
X: „Aber, die hast du doch nun schon so lange. Warum gehst Du nicht endlich mal zum Arzt?“
(Übrigens findet sich in dieser Frage mit dem „Warum„ ein weiterer der zahlreichen Kommunikations-Giftpfeile. Auch das einleitende „Aber“ gehört in diese Kategorie)
In Abwandlung obiger Dialoge findet sich auf meine Antwort auch schon mal folgende verharmlosend?, beschwichtigend? oder tröstend? gemeinte Erwiderung: „Jo alla“ *
(*s.oben)
Small Talk, erfrischende oder kalte Dusche?
Um eines vorweg zu sagen: Ich habe nichts gegen Small Talk, ich bin sogar ein großer Fan davon. Er erfüllt oft mein Bedürfnis
nach Leichtigkeit, Zwanglosigkeit, nach müheloser Begegnung mit anderen Menschen, manchmal nach Humor.
Allzu oft bleiben dabei allerdings andere wichtige Bedürfnisse auf der Strecke, z.B. das nach echter Begegnung und tiefer Verbindung.
Small Talk ist manchmal wie eine erfrischende Dusche, nicht selten allerdings bleiben wir frierend zurück.
Small Talk ist nicht selten gefährlich
Ich war erstaunt, als ich in Google den Begriff „Small Talk“ eingegeben hab. Hier wird nämlich diese Art, sich zu unterhalten, als Kunst gepriesen, die es zu erlernen gilt, als Voraussetzung, die Karriereleiter zu erklimmen, oder beim anderen Geschlecht Erfolg zu haben.
Nirgends habe ich gefunden, wie „gefährlich“ Small Talk sein kann, ein wahrer Giftpfeil der Kommunikation, der eine Begegnung auf tieferer Ebene blockieren kann.
Es ist gut möglich, dass für Beide, die sich auf der Ebene von Small Talk austauschen, die für sie momentan im Vordergrund stehenden Bedürfnisse wie Leichtigkeit, Kontakt, Humor etc. erfüllt sind.
Gleichzeitig erfordert es ein hohes Maß an Wachheit und Aufmerksamkeit, um zu spüren, wann der Gesprächspartner auch noch andere Bedürfnisse hat, wie Gesehen- und Gehört-Werden, Empathie oder auch Schutz der eigenen Gefühle.
Und gerade diese Wachheit ist es, die durch Small Talk leicht betäubt werden kann. Wenn es eben so vor sich hin plätschert.
Die Cola auf dem Bild
Nun ist besonders die Frage „Wie geht´s“ dazu geeignet, o.a. Bedürfnisse zu wecken.
Doch gerade diese eigentlich sehr persönliche und tief gehende Frage wird leider viel zu oft zur Einleitung von Small Talk „mißbraucht“ (und das ist nicht nur in der Pfalz so).
- Im Englischen erwartet man auf den Gruß (!) „How do you do“ gar keine Antwort, sondern den entsprechenden Gegengruß.
- Im Spanischen löst alles Andere als die Antwort „Bien, y tu“ auf die Frage „Como estas?“ Verwunderung aus.
- Und auch in Deutschland wird bei der Frage „wie geht´s“ meist nicht damit gerechnet, dass darauf eine ehrliche oder auch nur längere Antwort erfolgt.
Sollte dies doch einmal der Fall sein, werden oft verschiedene Techniken eingesetzt, um bei Small Talk zu bleiben: Trösten, Beschwichtigen, Abwiegeln, Ratschlagen, Beurteilen etc.
Das ist so als würde man einem Verdurstenden in der Wüste das Foto einer eiskalten Cola zeigen.
Small Talk als vermeintlicher Schutz
Diese Reaktionen dienen als Schutz.
Jemand, der auf Small Talk eingestellt ist, rechnet selten damit, dass daraus ein tiefer gehendes Gespräch wird, und vielleicht ist er mit der Antwort des Gegenübers überfordert. Vielleicht werden eigene unangenehme Gefühle berührt, vielleicht sieht er sich in der Situation, jetzt helfen oder eine Lösung finden zu müssen.
Die Komfortzone ist bedroht, und daher versucht er diese und sich selbst zu schützen, indem er auf der Ebene von Small Talk bleibt.
Fehlende Empathie
Wer dies tut, der signalisiert dem Anderen, dass er im Moment ziemlich mit sich beschäftigt ist und nicht bereit oder fähig, ihn zu hören und zu sehen.
Die eigenen Bedürfnisse sind im Moment wichtiger als die des Gegenüber. Jana Ludolf hat das in ihrem Artikel „Beschwichtigt nicht mit Plattitüden„ schön dargestellt.
Dass dies beim Gesprächspartner ein Gefühl der Frustration, vielleicht der Trauer bis hin zu Ärger auslösen kann, ist leicht nachzuvollziehen.
In dieser Situation wird eine Kommunikation, in der sich beide empathisch begegnen nur noch schwer möglich sein.
So ging es mir in den oben beschriebenen Begegnungen, in denen durch die einleitende Frage „wie geht es Dir?“, oder ähnliche Formulierungen, die Hoffnung geweckt wurde auf empathisches Verstehen.
Und regelmäßig verspürte ich Enttäuschung, Unverständnis (mein Gedanke: „Warum fragst Du dann, wenn´s Dich nicht interessiert?“), Verärgerung oder Traurigkeit in mir.
Es war eine Enttäuschung darüber, dass ich den Eindruck hatte, die Frage und die Begegnung waren nicht ehrlich, nicht ernst gemeint.
Gefühle und Bedürfnisse – auch beim Small Talk
So erfrischend Small Talk manchmal sein kann, so verletzend ein anderes Mal.
Daher gilt es, auch beim Small-Talk ganz genau und wach auf die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu achten und genauso die des Anderen im Blick zu haben.
Und dann ehrlich zu kommunizieren, dass Du im Moment möglicherweise nicht fähig und bereit bist, Dich auf den Anderen einzulassen, z.B. weil
- Du unter Zeitdruck bist
- weil es Dir zu nahe geht
- Du denkst, nicht kompetent genug zu sein
- Du nicht darauf eingestellt bist.
Oder eben die Small-Talk-Ebene zu verlassen zugunsten einer tieferen Begegnung.
Wenn Du also bereit bist, den Anderen anzuhören, was kannst Du dann tun?
- Zuhören, zuhören, zuhören…(mit dem Herzen, nicht nur mit den Ohren)
- Deine eigenen Angelegenheiten (Beurteilungen, Erfahrungen, Erlebnisse, Ratschläge etc.) erst mal beiseite lassen
- Wenn das Gespräch stockt, nachfragen: „Wie geht es Dir damit?“ (Hier hat die Frage eine völlig andere Qualität), „Was bedeutet das für Dich?“, „Was brauchst Du gerade?“
- Spiegeln: „Ich erlebe Dich grad ziemlich traurig“, „das klingt ziemlich frustriert“…
- Wenn Du etwas von Dir erzählen oder einen Ratschlag erteilen willst, tu es nicht ungefragt. Frage Deinen Gesprächspartner, ob er bereit dazu ist, ob er es hören will
Wenn es uns gelingt, auf diese Art zu kommunizieren oder gehört zu werden, dann wird aus dem Small Talk ein „Great Talk“.
Welche Erfahrungen hast Du mit Small Talk? Wie wirkt er auf Dich? Nutze die Kommentarfunktion, um uns davon zu erzählen. Ich freue mich darauf,
Peter
Guten Morgen! Danke für diesen großartigen Artikel.Ich mag Deine Webseite!
Vielen Dank!