Meinen Feind lieben; warum?
Die Welt ist schlecht. Und ich soll meinen Feind lieben? Es laufen so viele Bescheuerte herum. Haben die überhaupt Liebe verdient?
Warum sollte ausgerechent ich die lieben? Und überhaupt, wie soll das gehn?
Und lauter Feinde überall
- 13.November 2015: bei mehreren Anschlägen in Paris sterben mehr als 140 Menschen, viele weitere werden verletzt. Ausgeführt wurde die Tat von Angehörigen oder Sympathisanten des sog. IS.
Neben dem Mitgefühl für die Opfer tauchen Urteile, Verurteilungen in mir auf: Was sind das für Menschen, die so was tun? Sind das überhaupt Menschen? Oder Bestien? Auf jeden Fall Terroristen der übelsten Sorte, Verbrecher.
Oder sind es…tatsächlich…Menschen? Wie…Du, wie……………………. ICH????
- 2014/15: jeden Montag gehen Spinner in Dresden auf die Straßen, behaupten, sie seien das Volk, kleiden ihre Angst vor dem Fremden in menschenverachtende Haßparolen.
Nazis, Dumpfbacken, rechte Idioten…denkt es in mir.
Oder etwa…doch… Menschen?
- November 2015: Unsere Regierung und die Mehrheit des Bundestages beschließen, Frankreich im „Krieg gegen den IS“ militärisch zu unterstützen, viele, inclusive Papst Franziskus, verfallen in Kriegsrhetorik, faseln von einem 3. Weltkrieg. Sind die denn bescheuert, verbohrt oder blind?
Oder…menschlich?
Ich, auf der Seite der Guten…
Wenn ich die Abkürzungen Pegida oder AfD höre, löst das sowas wie Brechreiz in mir aus.
Wenn ich die militärischen Vergeltungsaktionen der westlichen und anderer Länder sehe, spüre ich Ärger und Zorn.
Wenn ich mir die Attentate von Paris vor Augen halte, ergreift mich Trauer, Wut und Angst.
„Nein, zu denen gehöre ich nicht. Ich gehöre zu den Guten!“
Wenn ich mir dann die „Guten“ anschaue, die oft mit den gleichen Beschimpfungen zurückschlagen, wird mir unwohl… Da ist was faul im Staate Dänemark.
Stopp !!!
Oder, wo stehe ich eigentlich?
[pullquote]Solange wir die andere Seite als Terroristen sehen und uns selbst als Freiheitskämpfer, sind wir Teil des Problems
Marshall Rosenberg[/pullquote]Wenn ich einen Anderen als Rassist bezeichne, mache ich mich dann nicht selbst zum Rassisten?
Tue ich nicht genau das, was ich dem Anderen ankreide?
Ich verurteile Andere dafür, dass sie Andere verurteilen. Ganz schön krass, oder?
Am Ende verurteile ich mich damit selbst?
Es ist so:
Eine Gruppe von Menschen als Rassisten zu bezeichen, macht uns zu Rassisten. Terroristische Anschläge mit Waffengewalt vergelten zu wollen, macht uns zu Terroristen.
Die Politiker, die das vorhaben als solche zu bezeichnen, macht uns zu Scharfrichtern im Kopf.
Solange wir nicht aufhören, die Welt einzuteilen in Gute und Böse, Nazis und Gutmenschen, Terroristen und Kämpfern für das Recht, Schwarze und Weiße, Ausländer und Deutsche, Schwule und Heteros … solange gibt es Gewalt in der Welt.
Wenn wir der Menschheit etwas Gutes tun wollen, dann, indem wir aufhören, sie einzuteilen in Gute und Böse Klick um zu Tweeten
So kommen wir nicht vom Fleck
Das kann es also nicht sein. Das bringt nicht weiter. Wir treten auf der Stelle. Es muss einen anderen Weg geben.
Hoffnung! Es gibt einen Weg
Die Wahrheit ist: es gibt einen anderen Weg.
Er beginnt da, wo ich anfange, den Menschen, das Menschliche in meinem „Feind“ zu sehen. Wo ich versuche, ihn zu verstehen
Dabei ist ganz klar zu sagen: Dies heißt nicht, mit dem was er tut und sagt, einverstanden zu sein. Im Gegenteil, es ist die einzige Chance, dem Anderen zu ermöglichen umzukehren, seine Menschlichkeit zu entdecken.
Beispiele in der Geschichte gibt es viele:
- Nelson Mandela, hat für ein ganzes Land ein Beispiel der Versöhnung gegeben, als er seinen weißen Gefängniswärter zu seiner Einführung als Präsident eingeladen hat. Die Apartheid ist heute in Südafrika abgeschafft, es ist das Land mit einer der humansten Verfassungen der Welt.
- Gandhi hat gezeigt, dass er mit der britischen Unterdrückung nicht einverstanden ist und hat gleichzeitig die britischen Besatzer immer mit Respekt und Achtung behandelt. So hat er erreicht, dass das Empire Indien friedlich und freundschaftlich in die Unabhängigkeit entließ.
- Marshall Rosenberg, der mit seiner Methode der gewaltfreien Kommunikation, d.h. Fördern gegenseitiger Empathie, es geschafft hat, dass Hutus und Tutsis, Kroaten und Serben oder Israelis und Palästinenser miteinander Versöhnung feierten.
- Mairead Corrigan, die mit ihrem Statement dafür sorgte, dass in der Folgezeit Zehntausende Iren, Katholiken und Protestanten, zusammen für ein Ende der Gewalt protestiereten. Zuvor waren bei einem Autounfall, verursacht durch britische Militärs 3 Kinder ihrer Schwetser getötet und die Mutter schwer verletzt worden. „Es ist egal, ob es Katholiken oder Protestanten waren. Das haben Anne und Jackie ihren Kindern immer wieder gesagt.“
- M. L. King, der mit seiner Haltung des Respekts und Achtung für den Anderen erreichte, dass Schwarze und Weiße gemeinsam für eine Abschaffung der Rassentrennung auf die Strasse gingen.
Es geht nicht um den Sieg
Was haben all diese Menschen mit ihrem Handeln und zahlreiche andere in der Geschichte gemeinsam?
Es war für sie nicht das Ziel, den Gegner zu besiegen, besser zu sein als er. Sondern für eine Änderung der Verhältnisse gewaltlos zu kämfen in Respekt vor dem Gegner.
All dies wäre nicht möglich gewesen, wenn es diesen Friedensaktivisten nur darum gegangen wäre, den Gegner, wenn auch gewaltlos, zu besiegen.
„Den Feind lieben“, wie es in der Bergpredigt heißt, bedeutet, ihm zu helfen, die eigene Menschlichkeit wiederzuerlangen.
Aber wie?
Und wie schaffe ich es, zu dieser Haltung zu kommen?
Indem ich anfange, den Menschen im Anderen zu sehen. Den Menschen mit den gleichen Bedürfnissen und Gefühlen wie ich sie habe. Und den Menschen, der aufgrund seiner Vorerfahrungen und Lebensumstände zu dem geworden ist, was er heute ist.
Gewaltfrei heißt nicht nur Verzicht auf Gewalt, heißt auch nicht etwa,
die andere Wange hinzuhalten.
Gewaltfrei ist eine viel schwierigere Aufgabe – nämlich Verständnis und Einfühlung in die Ängste die Unwissenheit, Hilflosigkeit und Unsicherheit der Menschen und Faktoren, die gewaltvolles Handeln hervorrufen.
Gandhi
(btw Mr. Gandhi, „die andere Wange hinhalten“ heißt nicht, resignierend oder feige beizugeben, sondern ist genau diese Gewaltfreiheit, von der sie sprechen. Hätten sie mal diese Gedanken dazu gelesen ;-) )
Folgende grundlegenden Annahmen der gewaltfreinen Kommunikation können hierbei eine Hilfe sein:
- Alles, was ein Mensch tut, tut er, um sich ein gesundes Bedürfnis zu erüllen.
- Grundsätzlich hat jeder Mensch, bei allem, was er tut eine „gute“ Absicht. Er will zur Erfüllung eines lebensdienlichen Bedürfnisses beitragen.
- Es gibt also immer „gute“ Gründe, auch wenn Menschen destruktive Dinge tun.
- Jeder Mensch findet von Natur aus Freude darin, das Leben eines anderen Menschen zu bereichern.
Die etwa auch?
Hä? Wie bitte?
Und was ist mit den Attentätern, die zig Menschen in Paris umgelegt haben? Was soll es da für einen guten Grund geben?
Die Pegida-Schreihälse, die jeden Flüchtling am liebsten tot sähen, soll das eine gute Absicht sein?
Hitler, der besessen davon war, sämtliche Juden zu vernichten – und das Leben bereichern?
Ich bleibe dabei, die obigen Behauptungen halte ich für wahr. Hinter all diesen Handlungen stecken Strategien (in diesen Fällen allerdings verheerende), um Bedürfnisse zu erfüllen.
Manche Strategien sind lebensfeindlich. Nie die Bedürfnisse. Klick um zu Tweeten
Somit ist auch Gewalt solch eine lebensfeindliche Strategie, das Bedürfnis dahinter nicht.
[pullquote align=“right“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Gewalt ist der tragische Ausdruck eines unerfüllten Bedürfnisses. Viele die wir gemein oder böse nennen, finden keinen anderen Weg, mit ihren Bedürfnissen umzugehen. M. Rosenberg[/pullquote]
Aus ihrer Sicht tun all diese Menschen nichts Schlimmes, im Gegenteil:
- Die Attentäter wollen dafür sorgen, dass der „rechte Glaube“ sich ausbreitet.
- Die Pegida Leute wollen, dass die „gewalttätigen Ausländer“ weg bleiben.
- Hitler wollte das „gute“ deutsche Volk von den „unheilbringenden Juden“ befreien.
Nicht die Täter sind die „Bösen“ sondern ihre Tat.
Starker Tobak, ich weiß. Aber billiger geht´s nicht!!!
Das heißt jetzt bitte was?
- Den Feind lieben – das heißt unterscheiden zwischen dem Unrecht und dem Menschen, der es begeht: das Unrecht bekämpfen und zugleich versuchen, den Täter womöglich zum Freund zu gewinnen.
Heißt also nicht, einverstanden zu sein mit der Tat, sondern dem Täter eine, die einzige Chance zu geben
- Den Feind lieben heißt, Tat und Täter zu trennen, und den Menschen in ihm mit seinen Bedürfnissen zu sehen.
Was könnten diese Bedürfnisse sein? Im obigen Fällen vermutlich:
Sicherheit, Zugehörigkeit, Ordnung, Frieden (!), wahrgenommen Werden, Erfüllung eigener Werte, Wertschätzung…?
Es sind die gleichen Bedürfnisse,wie ich sie bei mir finde, hui ui ui
- Den Feind lieben – das heißt in den Spiegel sehen und die eigene Antwort immer vergleichen mit dem Angriff des Feindes und darauf achten, nicht ungewollt ähnlich zu handeln wie er.
Gegengewalt erzeugt immer nur Gewalt.
Niemand kommt auf die Idee, mit Benzin ein Feuer zu löschen Klick um zu Tweeten- Den Feind lieben – das heißt hinausdenken über die Feindschaft: davon ausgehen, dass Menschen sich ändern können, Feindschaften beigelegt und Konflikte versöhnlich beendet werden können.
Beispiele in der Geschichte dafür gibt es eine Menge.
Und abgesehen von der großen Geschichte, gilt all dies auch in meiner „kleinen“ Welt. Gilt auch für den nahen, alltäglichen Feind, nervender Nachbar, mobbender Arbeitskollege, tritzender Vorgesetzter oder unversöhnliche(r) Ex-Partner(in).
Hier ist es vielleicht noch schwerer, bei dem Menschen dahinter zu bleiben. Möglicherweise, weil die persönliche Betroffenheit und Verletztheit größer ist.
Dies macht dann auch klarer: den Feind lieben wird kaum funktionieren, wenn ich nicht stark in mir bin, mich selbst liebe. Ein Thema für einen bis viele weitere Beiträge.
Der einzige Weg
„Es ist eine Frage der Weisheit, den Feind so zu achten, dass man ihn versteht und dieses Verstehen einbringen kann in die Begegnung mit ihm, denn das ist der einzige Weg zum Frieden“, sagt Jörg Zink hier.
Also ganz deutlich: Den Feind zu lieben, ist der einzige erfolgversprechende Weg zum Frieden. Ohne Garantie auf diesen Erfolg. Aber,
Es führt kein Weg dran vorbei
Fazit
Es kann keine Lösung sein, meinem Feind feindlich zu begegnen, denn das macht mich ihm gleich
Der einzige Weg zum Frieden lautet: den Feind lieben
Den Feind lieben heißt, zu trennen zwischen Tat und Täter; heißt, zu unterscheiden zwischen der Strategie und dem lebensdienlichen Bedürfnis dahinter; heißt, ihn zu sehen als Mensch mit den gleichen Bedürfnissen, wie ich sie habe; und heißt, an die Möglichkeit glauben und sie ihm eröffnen, dass er sich ändern kann
Eine Garantie dafür gibt es nicht, aber es ist, um mit den Worten einer einflussreichen Person zu sprechen: alternativlos.
In diesem Sinne, Frieden ist möglich!
Liebe Grüße,
Peter
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Das liest sich sehr einfach, praktisch tue ich mich damit ungemein schwer. Bei Pegida geht es ja noch aber bei Hitler wird es dann schon sehr schwierig. In der Theorie weiß ich, dass es richtig ist wie Marshall das schreibt, in der Praxis fehlt mir als Babygiraffe noch die Übung …. Ich vertraue darauf, dass die Haltung der gfK immer mehr alle meine Zellen erreicht…..und übe fleißig weiter. danke Peter für das Übungsfeld. Lg Regina
Das ist wohl wahr Regina, leicht ist es nicht, weil wir tausende von Jahren urteilende Kultur in uns haben und in einer solchen aufgewachsen sind. Nun, wenn auch nicht leicht, doch lohnenswert. Think different. Ich danke Dir für Dein Feedback und freue mich an unserem gemeinsamen Üben. Peter
Hi, der Text ist für mich an sich schlüssig. Gleichwohl ist es für mich eher so, dass ich meinen Feind nicht ‚lieben‘ muss für diese Haltung, für mich ist es vielmehr ein ‚den anderen in seinen Bedürfnissen zu Sehen‘.
Die Grundsätze der GfK als ‚Deine‘ Behauptung zu lesen finde ich etwas befremdlich, wenn Du Rosenberg zitieren würdest, wäre es für mich runder.
Liebe Karo, vielen Dank für Dein Feedback. Es taucht hier natürlich wieder die Frage auf, „was ist Liebe?. Ich stimme Dir zu, es geht darum, den anderen in und mit seinen Bedürfnissen zu sehen. Das hat für mich was, sehr viel sogar, mit Liebe zu tun. Und danke auch für das Äußern Deines Befremdens. Kann ich nachvollziehen und hab die Stelle entsprechend geändert. Liebe Grüße
Hallo Peter,
ich bin Dir dankbar für diese Zeilen, sie sprechen mir aus dem Herzen. Gerade habe ich wieder Posts von aktuellen Ereignissen auf Facebook gelesen und immer wieder die Bedürfnisse hinter dem Sarkasmus, Spott, Verurteilungen etc. gehört und sehe die Tragik, wie wenig diese Strategien zur Erfüllung der jeweiligen Bedürfnisse führen. Ich bin dankbar für Ihre Seite, ich bete, dass solche Posts, welche den Menschen zeigen, wie wir Konflikte friedvoll lösen können, mehr und mehr Zuspruch bekommen.
Jaaaaa, Facebook ist schon immer wieder ein geeignetes Medium, um mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen in Kontakt zu komen :-). Danke Christian für die Rückmeldung