Giftpfeile der Kommunikation: „Lass das!“

Lass das„Lass das!“ ist wenig erfolgreich

Lass das, bitte, hör auf, mit dem Stuhl zu schaukeln und wirf Deine Tasse nicht runter!“

Solche oder ähnliche „Bitten“ an ein Kind sind alltäglich. Und es bedarf sicher keiner über die Maßen ausgeprägten Fantasie, sich auszumalen, was passieren wird. Die Wahrscheinlichkeit dürfte in einem hohen Prozentbereich liegen, s Kind weiter schaukelt und sogar die Tasse zu Boden geht.

Was dagegen würde passieren, wäre die Bitte anders formuliert, z.B. „Stell bitte Deine Tasse in die Mitte des Tisches, das ist sicherer.“

Hier weiß das Kind, was es tun kann, um eine Bitte zu erfüllen, was die Chance um einiges erhöht, dass es die Bitte auch erfüllt. Und die Aussichten für den Boden wird verringert, tatsächlich mit der Tasse Bekanntschaft zu machen.

„Lass das!“ heißt, ich habe etwas falsch gemacht

Oder stell Dir vor, jemand sagt zu Dir: „Lass das, hör auf, mir ständig ins Wort zu fallen!“

Wie wirkt diese „Bitte“ auf Dich?

Mein erster Gedanke, wenn ich so etwas zu hören bekomme, geht so ähnlich: „Oh je, was hab ich jetzt wieder falsch gemacht?“, begleitet von Selbstvorwürfen und -zweifeln.

Oder es geht in die andere Richtung und ich denke oder sage: „Das hast Du grad nötig zu sagen. Quasselst ununterbrochen und lässt mich überhaupt nicht zu Wort kommen“.
Und schon bin ich im Angriffsmodus.

Lass das, den Scheiß

Motivierend, oder?

Eines wird deutlich: Die Formulierung der negativen Bitte macht es mir schwer, das zu sehen, was der Andere will. Denn er sagt mir nur, was er nicht will und das löst die obigen Gedanken in mir aus: Selbstvorwürfe, Fremdvorwürfe oder auch Rechtfertigung und Verteidigung, oft gar Widerstand und Trotz. 

„Lass das!“ oder „Tu das nicht!“ heißt, ich habe etwas falsch gemacht, das ich unterlassen soll.

Mangel statt Fülle

Darüber hinaus hat auch der Bittende mit einer solchen verneinenden Bitte wie „lass das!“ den Blick auf den Mangel gerichtet, auf das, was dazu geführt hat, dass ein Bedürfnis nicht erfüllt wurde. Ärger und Vorwurf sind da nicht weit und eine entsprechende Schwingung begleitet die Bitte.

Wenn ich dagegen den Blick auf das richte, was passieren darf, damit mein Bedürfnis erfüllt wird, steht die Fülle im Vordergrund. Und der Gebetene wird eher bereit sein, zu dieser Fülle beizutragen.

Während im ersten Fall das Bemängeln der Löcher im Vordergrund steht, erfreut im zweiten der herrlich aromatische Käse.

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„Lass das!“ hat den Blick auf die Löcher und sieht nicht den Käse

Eine negativ formulierte Bitte, also die Bitte, etwas nicht zu tun, entpuppt sich somit, ähnlich wie „warum„, „aber“ oder „ich muss“ wahrhaftig als richtiger Giftpfeil der Kommunikation.

 

 

 

 

 

Ich weiß nur, dass ich ein Nein fühle, wenn ich ein Nicht machen soll

Ruth Bebermeyer

 

Dafür spielen auch noch andere Gründe eine wesentliche Rolle:

Der schöne rote Apfel

Unser Gehirn denkt in Bildern. Ein Nicht kann es sich nicht vorstellen, folglich wird es auch nicht gehört.Beispiel gefällig?
Dann bitte ich Dich jetzt, denk nicht an eine schönen, roten, saftigen Apfel.

Ha, erwischt. Du hast an einen schönen, roten, saftigen Apfel gedacht, stimmt´s? Dabei hab ich Dich doch gebeten, es nicht zu tun.

Jetzt denk an eine saure, gelbe Zitrone. Ok, danke, dass Du meine BItte erhört hat.

Die Alternative ist unklar

Wen jemand mit der Bitte konfrontiert wird, etwas nicht zu tun, hat er keine Anregung, sein Verhalten zu ändern. Was sollte er stattdessen tun? Was will derjenige, der die Bitte formuliert?

Ok, ich kann das, was ich gerade getan habe lassen. Und was passiert dann?
In solcher Unklarheit kann es passieren, wie in der Begebenheit, die Marshall Rosenberg gerne schilderte:

Eine Frau bat ihren Mann, doch nicht mehr so viel zu arbeiten.

Die Antwort des Mannes war, das er sich tatsächlich frei nahm und zu einem Golfturnier anmeldete. Der Mann hat also der Bitte der Frau entsprochen, er hat das gelassen, was die Frau nicht wollte.

Ich nehm mal an, es war trotzdem nicht das, was sie stattdessen wollte.

Fessel vs. Leichtigkeit

Eine positiv formulierte Bitte lässt sich schnell und leicht erfüllen. Wenn ich darum gebeten werde, etwas zu tun, brauche ich das nur ein Mal zu tun, und schon habe ich die Bitte erfüllt und zur Freude des Bittenden beigetragen.

Lautet die Bitte dagegen, etwas zu unterlassen, dann kann ich das jetzt tun. Damit ist aber die Bitte noch längst nicht erfüllt. Ich kann sie 10 min. später oder auch am nächsten Tag oder nächsten Monat wieder vergessen haben, ich tue das, was ich eigentlich unterlassen soll, und „schon“  ist die Erfüllung der Bitte dahin. „Ich hab Dich doch gebeten „lass das“ und nun tust Du es schon wieder. Warum kannst Du mir meine Bitte nicht erfüllen?“ 

Tja, warum wohl? Weil eine Unterlassungsbitte, im Gegensatz zu einer Erfüllungsbitte, auf „Ewigkeit“ festlegt. Und wir Menschen etwas überfordert sind, unser Handeln auf ewig festzulegen.

Lass das wie Handschellen

Zu jemandem zu sagen „Lass das!“ ist, wie ihm Handschellen anzulegen

Wie wohltuend empfinde ich übrigens in diesem Zusammenhang den Unterschied zwischen dem Alten und dem Neuen Testament:
Während im AT in den 10 Geboten hauptsächlich festgelegt ist, was man alles nicht tun soll („Du sollst nicht…“), wendet Jesus diese Unterlassungsgebote auf die Frage, was das wichtigste Gebot von allen sei, in eine positive Zusammenfassung: Du sollst Gott Deinen Herrn lieben und Deinen Nächsten wie Dich selbst (Mk 12,28).

Es bleibt zwar an dieser Stelle sehr unkonkret, wie dies im Einzelnen genau aussieht (wobei sich im NT natürlich genügend Beispiele der Konkretion finden), aber immerhin wird aus der Bürde, krampfhaft darauf zu achten, etwas nicht zu tun, die erleichternde Erkenntnis, etwas tun zu können.  

Neugier?

Ich hab noch eine weitere Hypothese: Durch das Hören einer negativen Bitte wie „Lass das!“ oder „Hör auf damit!“ könnte die Neugier geweckt werden. „Was passiert, wenn ich es doch tue? Was verbirgt sich hinter dieser Bitte?“

Könnte es sein, dass mit dem Hören der negativen Bitte das Interesse geweckt wird, zu sehen, was passiert oder wie der Andere reagiert, wenn ich genau das tue, was ich doch eigentlich nicht tun soll?

Wie gesagt, es ist eine Hypothese von mir. Ich habe darüber keine Aussagen oder Untersuchungen gelesen.

Ich will selbst dazu ein keines Experiment durchführen. Gut, das wird keine wissenschaftlich fundierte, doppel-blind kontrollierte Studie. Doch ich bin gespannt auf das Ergebnis. In meinem nächsten Newsletter werde ich darüber berichten.

Warum also sind negative Bitten verhängnisvoll?

Als Fazit lassen sich die ungünstigen Auswirkungen einer negativen Bitte so zusammenfassen:

  • derjenige, der gebeten wird, etwas zu unterlassen bekommt das Gefühl, er habe etwas falsch gemacht. Die Folgen davon sind Selbst- oder Gegenvorwürfe, Schuldgedanken oder Widerstand und Trotz.
  • Eine negativ formulierte Bitte benennt einen Mangel und ist damit von unangenehmen Gefühlen begleitet
  • Da das Gehirn ein „Nicht“ nicht wahrnimmt, kann aus einer negativen Bitte eine unbewusste Aufforderung werden, genau das zu tun
  • Wenn jemand mit einer negativen Bitte konfrontiert wird, weiß er zwar, was er lassen, aber nicht, was er stattdessen tun soll. Das kann es schwer machen, die Handlung zu  finden und zu tun, die das Bedürfnis des Bittenden erfüllt.
  • Eine positive Bitte lässt sich leicht erfüllen, eine Unterlassungsbitte fesselt auf unbestimmte Zeit an diese Bitte.
  • Hypothese: Die Aufforderung „Lass das!“ macht neugierig zu sehen, was passiert, wenn ich es doch tue. Der Reiz ist größer es dann auch (weiter) zu tun.

Du siehst, negative Bitten sind tatsächlich ein Giftpfeil der Kommunikation. Also: „Lass das!“ 🙂

Die bereichernde Alternative

Nein, im Ernst, was kannst Du tun?

Im Grunde ganz einfach, es bedarf nur etwas Bewusstheit, Verbindung mit Deinen Bedürfnissen und Kreativität. Und dann formuliere positiv, d.h. sag, was Du gerne hättest, statt, was Du nicht willst. Es wird bei Deinem Gegenüber mit Sicherheit mit größerer Freude ankommen als die Unterlassungsbitte.

Zum Schluss möchte ich noch ein Beispiel aus meiner Praxis schildern, das aufzeigt, welch fast befreiende Wirkung eine positive Umformulierung einer Unterlassungsbitte haben kann:

Ich erlebe immer wieder folgende Situation:

Ich betrete das Untersuchungszimmer und gebe den Anwesenden die Hand.
In gefühlt 80-90% der Fälle strecken mir die unter 5-Jährigen darauhin die linke Hand entgegen. Und in sicher mehr als 90% weisen Papi oder Mami in solchen Fällen das Kind mit folgenden oder ähnlichen Worten zurecht: „Aber Thomas (Name von der Redaktion geändert 😉 ), doch nicht die Hand. Die andere.“

Nun bleiben mir als Drittem verschiedene Alternativen darauf zu reagieren.

Ich könnte:

  • den Einwurf der Eltern bestätigen, indem ich z.B. zu dem Kind sage: „Hör auf Deine Eltern!“
  • die Aufforderung der Eltern einfach unkommentiert lassen, sie in meinem Kontakt mit dem Kind ignorieren
  • die Hand des Kindes ignorieren und mir die rechte greifen
  • den Eltern entgegnen, „das ist doch gar nicht so wichtig“, oder „es gibt keine falsche Hand“
  • oder im Versuch, beiden gerecht zu werden, die linke Hand des Kindes nehmen und ihm gleichzeitig sagen: „Das nächste Mal gibst Du mir aber die andere“

All dies hätte zur Folge, dass entweder das Kind oder die Eltern oder beide den Eindruck hätten, etwas falsch gemacht zu haben, dadurch dass ich dem Kind oder den Eltern signalisiere: „Nein, so nicht!“

Als vorteilhaft sehe ich dagegen folgende Reaktion an:

Nachdem das Kind mir die linke Hand gegeben hat und der Elternteil erklärt hat, dass er das so nicht will, könnte ich zu dem Kind sagen:

Oh, jetzt bist Du erschrocken, stimmt´s? Ich glaube, Deiner Mama ist es wichtig, dass Du mir diese Hand (auf die rechte zeigend)/ „die rechte Hand“ gibst.

Durch diese oder eine ähnliche Formulierung, die positiv ausdrückt, was eigentlich gewünscht ist, ergeben sich folgende Vorteile:

  • das Kind fühlt sich gesehen und ernst genommen
  • es bekommt nicht den Eindruck, etwas falsch gemacht zu haben
  • in dem Kind wird Verständnis für die Mutter geweckt
  • die Mutter fühlt sich nicht belehrt oder zurecht gewiesen sondern ebenfalls gehört und gesehen
  • in der Mutter wird Empathie für das Kind geweckt
  • durch Ausdrücken der Vermutung („ich glaube“) wird der Mutter nichts unterstellt, was nicht stimmt und sie hat die Freiheit, zu bestätigen oder zu korrigieren

Wie geht es Dir damit?

Du siehst, im Gegensatz zur negativen Formulierung hat die positive eine Menge Vorteile und die Kommunikation wird dadurch angenehmer und verbindender. Und die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass dadurch viele Bedürfnisse erfüllt werden.

Welche Erfahrungen hast Du mit negativ oder positiv formulierten Bitten? Wie fühlst Du Dich in der jeweiligen Situation oder welche Art von Bitte ziehst Du vor. Nutze die Kommentarfunktion, um davon zu berichten. Ich bin schon sehr gespannt.

2 Replies to “Giftpfeile der Kommunikation: „Lass das!“”

  1. Vielen Dank für den Artikel! Ich erlebe manchmal Situationen, in denen ich gerne so reagieren würde, dann aber ziemlich ratlos bin.. es geht um mich und meine einjährige Tochter und die Situation „Sie beißt mich“. Wie kann ich hier positiv formulieren, dass sie das nicht machen soll? Hast du eine Idee? I.d.R. erschrecke ich, weil es einfach weh tut und reagiere mit „nicht beißen“ und merke dann, wie leid ihr das tut. Es ist mir so wichtig, einfuhlsam mit ihr umzugehen, ich schaffe es in dem kurzen Moment aber oft nicht.

    1. Liebe Nina, Einfühlsamkeit mit einem 1 jährigen Kind geht wahrscheinlich mehr über Gesten, Tonfall und Blickkontakt als mit Worten, also das, was die Worte begleitet.
      Wenn Du erschrickst und dann fast reflektorisch sagst „Bitte nicht“, kannst Du es ihr genauso erklären. Wenn nicht genau in dem kurzen Moment, dann später. „Ich bin erschrocken, weil mir das weh getan hat.“ Natürlich in Worten, die sie in ihrem Alter versteht. (Und wie gesagt in der entsprechenden Haltung).
      Und dann könntest Du herausfinden, was ihr Bedürfnis ist, wenn sie Dich beißt (will sie vielleicht Aufmerksamkeit? oder Spielen?) „Du hättest gern, dass ich Dich jetz ganz fest drücke, oder?“ Oder was auch immer es ist und was ihre und Deine Worte sein könnten. Und dann Alternativen aufzeigen, wie sie noch auf ihr Bedürfnis aufmerksam machen kann, ohne zu dem Mittel Beißen greifen zu müssen. „Wie wäre es, wenn Du das nächste Mal mich ganz fest drückst und mir zeigst, dass ich Dich auch drücken soll“.
      Passt das für Dich und für Euch?

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