Giftpfeile der Kommunikation: „Eigentlich“

Eigentlich, Beitragsbild; Schraube und Hammer, Nagel und SchraubschlüsselIst das eigentlich ein Giftpfeil?

Eigentlich ist „eigentlich“ kein Kommunikations-Giftpfeil. Eigentlich. Und doch hat der Gebrauch dieses Wortes etwas, was die Kommunikation empfindlich stört.

Nicht immer. Es gibt durchaus Situationen, in denen das Wörtchen sogar hilft, einen Sachverhalt zu klären oder zu unterstreichen.

Von daher nervt es mich durchaus, wenn ich in manchen Kreisen, die (zum Glück) eine gewisse Sensibilität für die Wirkung von Sprache und Wörtern entwickelt haben, immer wieder korrigierend darauf hingewiesen werde, sobald mir das Wörtchen „eigentlich“ über die Lippen kommt. Gerade dann, wenn ich es im obigen Sinne verstärkend gebraucht habe.

In vielen Situationen ist es allerdings Verbindungs-blockierend? Auf diesen störenden Charakter will ich nun näher eingehen.

Ein alltäglicher Dialog

Lass mich Dir dazu folgenden WhatsApp Dialog schildern, den ich vor einiger Zeit erlebt habe:

Ich war mit jemandem verabredet, zu einem Fußballspiel des FCK zu fahren (ja, es war Anfang der Saison, als die Hoffnung und Begeisterung, die neue Aufbruchstimmung noch groß waren…).

Also, wir wollten zum Spiel fahren, ich war dran, denjenigen abzuholen.

Nun war, wie es an ersten Spieltagen der Saison und bei wichtigen Spielen auf dem Betze (für Nichteingeweihte: Betzenberg in Kaiserslautern; dort befindet sich das Stadion des FCK) üblich ist, vor dem Spiel ein Fanmarsch angekündigt, von der Innenstadt zum Stadion. (Muss man sich das vorstellen wie eine Art Prozession ohne kirchlichen Hintergrund).

Mein Mitfahrer hatte bereits angedeutet, dass er da gern dabei wäre, was bedeutet hätte, dass wir um einiges früher losfahren mussten. Mir war die Sache nicht soooo wichtig, gleichzeitig konnte ich mich gut darauf einlassen.

Um für Klarheit zu sorgen schrieb ich ihm nun per WhatsApp, und es entspannte sich folgender virtueller Dialog (etwaige orthographische Unzulänglichkeiten sind mangelnder Smartphone-Fingerfertigkeit meinerseits geschuldet. Ich stelle sie daher Deiner Nachsicht anheim):

Eigentlich, WhatsApp Dialog 1

Ich hatte also eine, meiner Ansicht nach, klare Frage nach den Bedürfnissen meines Partners gestellt und bekam eine Antwort, bestehend aus eigentlich und Konjunktiv, die in mir die Frage immer noch unbeantwortet lies: Was nun, wichtig oder doch nicht sooo?

Dass ich darüber nicht verärgert war, sondern eher etwas belustigt, sogar erfreut, (was, nebenbei bemerkt, mal wieder zeigt, dass es an mir liegt, welche Gefühle durch eine Situation in mir hochkommen) lag an der Tatsache, dass ich schlagartig ein Thema für einen neuen Blogartikel gefunden hatte.

In der Euphorie dieses Umstandes spann ich den Dialog ironisch-humorvoll weiter:

Eigentlich, WApp Dialog 2

Ich gehe mal davon aus, dass meine wohlwollende Ironie angekommen ist, zumindest lese ich das aus dem lachenden Smiley am Ende.

Unklarheit und Ambivalenz

Wieso aber mutet dieses „Eigentlich“ in dem Gespräch so seltsam an (noch verstärkt durch den Gebrauch des Konjunktivs, der dem Ganzen noch einen Anstrich von fraglicher Erfüllbarkeit eines unklaren Wunsches gibt)?

Ist es die Unklarheit der Antwort auf eine klare Frage? Ist es die Frage, ob mit dem „Eigentlich“ Zweifel ausgedrückt werden, ob ich den Wunsch überhaupt erfüllen will? Oder ist es die Frage, ob der Andere überhaupt darüber Klarheit hat, was er will oder in unbewusster, versteckt ausgedrückter Ambivalenz antwortet?

Versuch einer Definition

Was ist das überhaupt für ein Wort? Lassen wir mal den Duden sprechen:

„Eigentlich: in Wirklichkeit, im Grunde, ursprünglich“.

Das Eigentliche ist somit das Wesentliche, die auf den Fingernagel geschriebene, ursprüngliche Wahrheit, des Pudels Kern. Das was die eigen-Art einer Sache darstellt, das, was mein Herz wirklich will. Somit eigentlich etwas Grundlegendes, Wertvolles.

Und was macht dieses „Eigentlich“ denn nun so zwielichtig?

Auch hier hilft der Duden wieder weiter:

„eigentlich: kennzeichnet einen meist halbherzigen, nicht überzeugenden Einwand, weist auf eine ursprüngliche, aber schon aufgegebene Absicht hin“.

Aha, es hat was mit Halbherzigkeit zu tun, mit Kraftlosigkeit, mit Unklarheit, Ängstlichkeit, fast schon Resignation.

Und da liegt der Hund begraben: Der Gebrauch von eigentlich bedeutet oft eine Einschränkung, eine Abschwächung dessen, was ich wirklich will.

Weitere Antworten

Weiteres Licht auf den kommunikationsstörenden Charakter des Wörtchens werfen einige Antworten einer Diskussion bei Yahoo clever auf die Frage nach seiner Bedeutung:

  • „Es ist eine Einschränkung: Wenn du z. B. sagst „ich bin eigentlich treu“, bedeutet es für mich, du bist nicht wirklich treu“
  • „naja „eigentlich“ heißt, dass es noch ein „aber“ dazu gibt: eigentlich mag ich dich ja, aber manchmal nervst du einfach“
  • „Weil du nicht über die Wirklichkeit sprechen willst? „Eigentlich“ ist der totale „Weichmacher“. Es führt selbst gute Aussagen ad absurdum…“
  • „Das Wort „eigentlich“ kann Adjektiv sein und bedeutet dann „tatsächlich“ (vgl. z.B. „das eigentliche Problem…“). In dieser Verwendung ist es neutral und nicht zu kritisieren.
    Als Adverb gebraucht, steht es für Gleichgültigkeit bzw. mangelnde Genauigkeit. In dieser Funktion hat es in gesprochener Sprache wenig und in geschriebener Sprache überhaupt nichts zu suchen. Sollte also tunlichst vermieden werden. Die in dieser Verwendung gemachten Aussagen sind ohnehin von begrenztem kommunikativem Wert.“
  • „also eigentlich ist…ein typisches Wort für Leute, die sich nicht festlegen können und deshalb halt das zwischendrin nehmen. Oder man benutzt es bei einem Gespräch, um die „Gedankenlücken“ zu füllen, so wie „ähhhh“…“
  • „Ich denke, eigentlich ist ein Wort um sich vor einer Entscheidung zu drücken… Ich benutze es, wenn ich mir alle Wege offen halten möchte…“

Halten wir also fest: In manchen Fällen, v.a. als Adjektiv gebraucht, dient das Wort zur genaueren Kennzeichnung und trägt sogar zur Klärung eines Sachverhalts bei.

In vielen anderen Situationen drückt es Unklarheit, Abschwächung, Ängstlichkeit aus.

Ist ein Aber dabei?

Erkennen lässt sich dies meist daran, dass ein „Aber“ ausgesprochen oder unausgesprochen mitschwingt. Eigentlich ist in diesem Zusammenhang die Schwester von „Ja, aber„.

`Eigentlich` ist die Schwester von `Aber` Klick um zu Tweeten

Wenn Du also in Deiner Kommunikation merkst, dass Du „eigentlich“ gebrauchst, und dazu ein „Aber“ passt, dann nimm es als Signal, dass Du nicht in der Wahrheit bist.
Verbinde Dich mit Deinen Gefühlen und Bedürfnissen und ergründe, was Du wirklich willst oder fühlst. Nimm das „Eigentlich“ als Stoppschild dafür, dass Du nicht ganz mit Deinem Herzen verbunden bist und nutze die Chance, genauer hinzuschauen.

Eine Freundin von mir pflegt oft zu sagen: „Eigentlich ist im Deutschen die schwächste Form eines Nein.“ Ich glaube eher, es ist die schwache oder abschwächende Form eines Ja. Eben ein Ja, aber.

Welche Erfahrungen und Erlebnisse hast Du mit dem Hören oder Aussprechen von „eigentlich“? Schreib was dazu in den Kommentaren. Ich freue mich auf einen interessanten und lebhaften Austausch,

Herzlich,

Peter

11 Replies to “Giftpfeile der Kommunikation: „Eigentlich“”

    1. Wouw, Daniela, könntest Du mich jetzt sehen, würdest Du ein gaaaannnzzz breites Lächeln sehen. Vielen Dank für diese wohltuende Rückmeldung 🙂

      Lieben Gruß, Peter

  1. Danke für den Artikel, das Thema „eigentlich“ hatte ich letztens auch 😉
    Wobei ich hier bei dem Whatsapp Beispiel das Gefühl habe, dass die andere Person so schwammige Formulierungen nutzt, da ihr bewusst ist, dass es für Dich eher umständlich ist sie mitzunehmen und sie dir gleichzeitigt die Entscheidung überlassen möchte, aber auch zeigen, dass sie gerne mitkommen will.
    (Ob das jetzt die geschickteste Strategie ist, sei mal dahingestellt 😉 ).

    1. Hallo Alexandra, Danke auch Dir für die Rückmeldung.
      Zu Deiner Frage, ob es eine geschickte Strategie wäre, träfen Deine Überlegungen zu, kann ich nur sagen, ich denke nicht. Ich halte es für besser, klar zu haben und zu sagen, was ich will, denn das macht die Kommunikation einfacher.
      Allerdings ging es hier ja nicht um die Frage, ob ich den anderen mitnehme oder nicht, sondern ob es ihm wichtig ist, am Fanmarsch teilzunehmen. Selbst wenn ich da ein klares Ja bekomme, liegt es ja immer noch bei mir, wie ich mich entscheide. Ich hab dann allerdings klarere Kriterien für die Entscheidung.
      Kannst Du damit was anfangen?

      Lieben Gruß, Peter

  2. Hallo Peter,
    was für ein wunderbarer Artikel! 😀
    In meiner Arbeit leite ich auch gerne mal Gruppen und dieses kleine fieße Wörtchen ist neben dem „…ja, aber…“ ein Grund für wiederkehrende Diskussionen, die einerseits ernst aber andererseits immer ziemlich lustig ablaufen. Nach solchen Diskussionsrunden ist es immer total spannend mitanzusehen, wie sich die Leute selbst dabei ertappen und korrigieren, ohne, dass man auch nur etwas sagen müsste. Herrlich!
    Ein ganz schöner Artikel! 🙂
    Herzlichen Gruß
    Tatjana

    1. Da hast Du recht, liebe Tatjana, es ist ungemein spannend und auch hilfreich bewusst auf Kommunikation zu achten und auf die kleinen oder größeren Pittfalls.
      Vielen Dank für Dein Feedback, über das ich mich sehr freue.

      Liebe Grüße, Peter

  3. Super Sache hier! Wie würdest du denn ein „eigentlich“ definieren bei:
    „eigentlich habe ich ja eine Freundin.“
    Das wäre interessant zu wissen 😀

    1. Na ja, Franzi, wenn ich höre „eigentlich habe ich ja eine Freundin“, dann kommen mir spontan 2 Annahmen in den Sinn:
      Entweder: Mit dieser Beziehung stimmt was nicht
      oder
      Derjenige der das sagt ist im Begriff, etwas zu tun, was der Beziehung nicht gut tut.

      Jedenfalls führt dieses Eigentlich nicht dazu, anzunehmen, dass der Sprecher voll und ganz hinter dieser Freundschaft steht.

      Meine Gedanken dazu. Liebe Grüße, Peter

  4. Spannende Diskussion. Vor kurzem sagte meine Mutter zu mir: „Eigentlich hat man ja eine neue Stelle, bevor man kündigt“, worauf ich getriggert war. Erstens hatte sie nichts weiter gefragt, sonst hätte sie gewusst, dass ich einen Plan A gehabt hatte. Zweitens kam es sehr schulmeisterhaft belehrend rüber. Jetzt weiss ich auch warum.

    1. Ja, ich kann gut nachvollziehen, wie unwohl du dich dabei gefühlt hast. Das ist ein schönes Bespiel dafür, wie solche verbindungsbehindernden Wörter wirken.
      Übrigens in diesem Fall ganz sicher noch verstärkt durch das „man“, das ich für einen genauso großen Giftpfeil halte, weil es verallgemeinert und ein Sehen der individuellen Situation und Person verhindert.

      Vielen Dank für dein schönes Beispiel,
      Liebe Grüße,
      Peter

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